Flüsterführung

Letzte Woche hatte ich kurzfristig meine Stimme verloren; Dienstagabend sprang mich irgendein Erreger an, Mittwoch war die Stimme weg – und Donnerstag am späten Nachmittag war eine Stadtführung über die Schiffbauergasse angesetzt. Donnerstagmorgen war die Stimme immer noch weg, ich konnte nur flüstern. Ich hatte mir bis zum Mittag Zeit gegeben, um zu entscheiden, ob ich die Führung per SMS absagen muß. Mein Kunde kam mir mit einem Anruf zuvor; er wollte kundtun, daß die Gruppe eine Viertelstunde später kommen würde.

Ich flüsterte mühsam, daß ich nur flüstern könne und daher die Stadtführung – weiter kam ich gar nicht, denn er meinte, daß sei doch nicht so schlimm, ich soll bittebitte die Führung nicht absagen, das würde schon irgendwie gehen, sie wären alle auch ganz brav und still und leise… Na bitte, gesagt, getan.

Geflüstert. Eine Gruppe von 15 Personen anzuflüstern auf der durchaus belebten und daher nicht ganz lärmfreien Schiffbauergasse ist wirklich eine Herausforderung! Kleine Zwischengespräche unter Teilnehmern, die ja ganz normal sind und mich sonst auch gar nicht stören, weil meine Stimme laut genug ist, um darüber hinweg für alle anderen noch verständlich zu sein, waren dieses Mal natürlich ein großes Problem. Und zwar genau einmal. Da ich mich nicht verbal dazu verhalten konnte, fuchtelte ich ein bißchen mit den Armen, um Aufmerksamkeit zu erregen – das brachte alle zum Grinsen, Verstummen und zum Verständnis der Situation.

Und das war dann die amüsanteste Stadtführung seit langem – für mich und meine Gäste. Wir hatten soviel Spaß! Es ist ein so kurioser Effekt, wenn historische Anekdoten und harte Fakten über preußische Industrie- und Militärgeschichte im Flüsterton erzählt werden – als würde man sich Geheimnisse erzählen. Als würde man sich abends im Ferienlager, wenn das Licht schon aus ist, Gruselgeschichten von Bett zu Bett erzählen…

Und siehe da – durch Benutzung kam meine Stimme zurück! Am Ende der Führung klang ich zwar noch etwas krächzend, mußte aber nicht mehr flüstern. Die Gruppe war amüsiert und stolz: Wir haben Sie geheilt!