Die Potsdamerin und die Eingeschmeckte

Das ist doch auch nur ’ne Eingeschmeckte. Sagt die alte Dame verächtlich. Über die andere alte Dame. Was für ein Wort, hab ich noch nie gehört, was bedeutet das, frage ich sie, aber eigentlich weiß ich, was es bedeutet.

Sie ist keine Geborene, junge Frau! Sie ist keine geborene Potsdamerin! Ich wußte es doch. Ist ja nicht schlimm, ich meine, das muß ja nicht, aber dann sollen sie nicht immer so naseweis sein und mir erzählen, wie’s früher hier war. Aber so sind sie, die Eingeschmeckten…

Sie meint nicht mich, das ist klar, aber jetzt bin ich mal mutig und sag ihr: Ich bin auch nicht hier geboren. Ach, sagt sie, guckt mich an und macht eine mild-wegwerfende Handbewegung, bei ihnen ist das was anderes, sie beschäftigen sich ja anständig mit der Stadtgeschichte. Und sie lassen sich auch mal was sagen. Ich mein‘, woher sollen sie auch wissen, daß wir als Kinder hier Kreisel gespielt haben, hinter der Kaserne. Sowas steht ja nicht in Büchern!

Sie reckt sich ein bißchen in die Höhe an ihrer Gehhilfe, guckt mich neugierig an, und ich versuche, sie mir vorzustellen, als Kind, Tochter eines Gardehusaren, mit dem Kreisel über das Pflaster hüpfend, hier, wo heute im Sommer auch schon mal Heavy-Metal-Open-Air-Konzerte mit zweitausend Leuten veranstaltet werden. Sie guckt mich immer noch herausfordernd an, also frag ich sie, ob ich sie fragen darf, wie alt sie ist.

Achtundachtzig! Das kommt ohne Zögern, sie ist so stolz. Dann tätschelt sie meine Hand: Machen sie sich mal keine Sorgen, so Eingeschmeckte wie sie gelten als Geborene, spätestens, wenn sie so alt sind wie ich!