Was macht die Stadtführerin in der Nebensaison?

Abgesehen davon, daß jetzt auch mal kurzfristig noch Führungstermine zu vereinbaren sind (wie z.B. morgen in der Schiffbauergasse), weil tatsächlich nicht so viele Leute im kalten März Spaziergänge oder Rundfahrten machen möchten, arbeitet die Stadtführerin! Tatsächlich. Mein Berufsstand teilt sich mit den Lehrern das Vorurteil, daß wir, kaum haben wir unser Publikum verlassen, auf dem Sofa liegen und mit leerem Blick an die Decke starren – mal so nebenbei gesagt.

Also, hier einmal der ganz normale Tagesablauf der Nebensaison ohne Führungstermin, heute zum Beispiel:

Von halb eins bis knapp drei Uhr nachts im neuerschienenen 900-Seiten-Wälzer „Preußen“ von Christopher Clark gelesen, morgens um zehn Treff mit einem der Engagierten des Vereins „Royal Louise“; es geht um Informationsaustausch und Ideen für die weitere Zusammenarbeit. Der nächste große Schritt des Vereins: Sie können endlich einen Anlegesteg für ihr schönes Schiff an der Matrosenstation Kongsnaes bauen.

Danach mit knurrendem Magen zehn vor zwölf Uhr mittags an der Tür eines meiner Lieblingsbistros gerüttelt – Winteröffnungszeit unter der Woche erst ab zwölf. In den zehn Minuten schnell um die Ecke in den Schuhladen einer Bekannten im Holländischen Viertel, die vor einem Jahr eröffnet hat: Wie gehen die Geschäfte? Der letzte Sonntag wäre bombastisch gewesen, sagt sie. Das kann ich mir vorstellen – es war der erste sonnige Vorfrühlingstag, und während ich mit einer Gruppe von Gästen einen Spaziergang rund um die Glienicker Brücke gemacht habe, sah ich viele Berliner Autos in Kolonne nach Potsdam hineinfahren. In den Sommermonaten kann es dann auch mal zum Stau auf der Berliner Straße kommen, wohlgemerkt nicht im Berufsverkehr, sondern am Sonntagvormittag! Und letzten Sonntag sind sie wohl alle Schuhe kaufen gefahren…

Jetzt ist es kurz nach zwölf, also ab ins Lapis Lazuli: Entschuldigung, sie müßten noch schnell die Tagesangebote an die Tafel schreiben. Das können sie ja gerne machen, aber: Was riecht denn da so gut aus der Küche gerade frisch gekocht? Königsberger Klopse! Mit Sardellen! Aus Neuland-Fleisch! Ach, ich könnte morden für Königsberger Klopse: für Gute, wenn sie richtig gut sind, aber auch, wenn man es wagt, mir Kantinen-Klops-Niveau anzudrehen…

Was das mit meiner Arbeit zu tun hat? Was denken Sie, wen Sie demnächst fragen, wo man nach der Stadtführung in Potsdam nett essen kann? Na? Die Königsberger kommen jetzt auf die Dauerkarte im Lapis Lazuli, und schon habe ich wieder eine wichtige Info: Wenn Sie richtig gute Klopse wollen, kommen Sie hierher!

Nach dem Essen schnell dort noch die aktuelle Lokalzeitung gelesen, das gehört jeden Tag zum Beruf, isjaklar. Interessante Meldung heute: Die Stadtverordneten haben in ihrer gestrigen Sitzung tatsächlich das Baurecht am Glienicker Horn widerrufen. Das war abzusehen, das gibt jetzt richtig Ärger mit den Eigentümern und hoffentlich ein paar Wiedergutmachungspunkte bei der UNESCO, die wegen der schon erfolgten Bebauung dort Potsdam fast schon mal von der Liste der Weltkulturerbestätten gestrichen hätte. War auch Thema bei der Führung letzten Sonntag, da hatten wir darüber gesprochen, und ich hatte gesagt: Ich glaube, das kippt. Einige Gäste waren skeptisch – aber es ist gekippt! Schön, wenn man nicht falsch liegt.

Bevor ich zum Markt fahre, bewundere ich mit dem Mann vom Weinladen gegenüber gemeinsam noch schnell die neue „dreigeschossige barocke Portaldekoration“ am Hollandhaus Benkertstraße 22. Die Denkmalpfleger der Stadt lieben den Besitzer, Sie kennen ihn aus dem Fernsehen, den Rest denken Sie sich jetzt mal…

Auf dem Markt wundert sich der Mann, der mir rote Beete verkauft, daß ich ohne Handschuhe Fahrrad fahre. Ich wundere mich auch, aber heute morgen war es so sonnig und schön! Ja, sagt er, das Wetter ist tückisch! In diesem Winter hätte er zum ersten Mal seit zwanzig Jahren Auf-dem-Markt-Stehen eine Erkältung gehabt: Urlaub im Süden, zurückgeflogen, und zack: Halsschmerzen am nächsten Morgen.

Jetzt aber ab nach Hause, kurzer Schlenker über die Schiffbauergasse, aktuellen Baustand begucken, damit ich bei meiner Führung morgen nicht von der Bewegung der Dauerbaustelle überrascht bin. Zuhause Emails beantworten. Eine Grundschule aus der Nähe von Potsdam, die sich schon Anfang letzten Dezember einen Termin für kommenden April gesichert hatte, schreibt heute: Was sind wir froh, daß wir schon so früh reserviert haben, dieses Mal bitte Park Sanssouci. Das wird dann das dritte Mal, daß ich mit dieser Truppe hier um die Häuser ziehe; und beim dritten Mal nenne ich solche Gäste dann endgültig Wiederkommer. Und die mag ich so gern wie Königsberger Klopse.

Dann noch schnell einen Besprechungstermin bei einem vom Land geförderten Projekt für morgen gemacht, es geht um ein Seminar, daß ich vielleicht abhalten soll, ja, vor meiner Führung ist noch Zeit, das trifft sich gut. Dabei fällt mir ein, daß ich auch langsam mit der Vorbereitung für einen ganzen Tag Seminar bei der IHK beginnen muß, das ist zwar auch erst Ende April, aber auf den letzten Drücker will ich es nicht machen – die Leute erwarten schließlich eine ordentliche Leistung und viele gute Ratschläge aus der Praxis von mir.

Die rote Beete kocht schon nebenbei, während ich mir eine grobe Struktur für das Seminar überlege, und dann klingelt noch einmal das Telefon: Ob es denn morgen auch eine halbe Stunde früher ginge? Ja klar, kein Problem, alles ganz in Ordnung so, der ganz normale Tag einer Stadtführerin in der Nebensaison…