Die Dreckecke

Als ich als Kind nach Potsdam kam, haben mir die großen alten Kasernen in der Berliner Straße Angst gemacht. Später habe ich sie einfach ausgeblendet – es ist erstaunlich, was man nicht sieht, wenn man nicht sehen will. Ab und zu sah ich russische Lastwagen vom Hof der gelben Kaserne fahren, und ab und zu pfiffen mir NVA-Soldaten hinterher, die auf den Fensterbänken der roten Kaserne gegenüber saßen und rauchten.

Einmal war ich mit der Schulklasse zu Besuch im Gaswerk, das gleich hinter der gelben Kaserne lag. Das Werk hab ich als schwarzes, zischendes, stinkendes Monster in Erinnerung, das von den ebenso dreckigen Arbeitern wohl nur mühsam zu bändigen war. Jetzt löschen wir die Kohle, sagte der Arbeiter, der uns führte, und gleich darauf sahen wir eine gewaltige Wolke weißen Wasserdampfes aufsteigen – ein Schauspiel, das den Potsdamern mehrmals am Tag geboten wurde.

Ich erinnere mich auch an den Bau der Humboldtbrücke: Als die Auffahrtsrampe von der Berliner Straße zur Brücke aufgeschüttet, aber noch nicht befestigt war, haben wir dort in einem Herbst unsere Drachen steigen lassen. Ein paar Jahre später hab ich an einem dunklen, verschneiten Wintertag Fotos vom Babelsberger Park aus gemacht: Die schon leicht vergilbten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen wiederum ein häßliches Industriemonster am Wasser.

Das ganze Gelände war kein weißer, sondern ein dreckiger Fleck auf der Potsdamer Landkarte.

Und jetzt entsteht dort ein Kultur- und Gewerbestandort, um den uns viele Städte bald beneiden werden. Ausgerechnet dort draußen, an dieser Dreckecke, bauen Sie das neue Theater, hörte ich neulich einen alten Mann in der Straßenbahn schimpfen. Aber die Zeiten ändern sich, die Altlasten des Gaswerkes und der sowjetischen KGB-Einheit sind beseitigt, und jetzt, in der dunklen Jahreszeit leuchtet der rote Oracle-Schriftzug schon nachmittags über das Wasser, während der Berufsverkehr sich auf der Humboldtbrücke staut.

Hier entsteht unter anderem Ihr festlicher Theaterabend – schauen Sie sich um! Ab Sonnabend biete ich Sonderführungen über das Areal Schiffbauergasse.