Ein Kolumbus auf der Havel

Mehr als 38 Jahre ist das jetzt her: Im Frühjahr 1978 kamen ein großer Mann mit Bart und eine junge Frau mit langen Haaren, die aussah wie Schneewittchen, in unsere Schulklasse während des Unterrichts. Sie beobachteten uns eine Weile schweigend, die Lehrerin fuhr unbeirrt im Lehrplan fort. Nach einer Weile wurde ich gebeten, mit den beiden Unbekannten einmal kurz vor die Tür zu gehen.

Dies war der Beginn eines großen Abenteuers für ein elfjähriges Mädchen; zwei Probeaufnahmetermine später stand ich als Besetzung der Hauptrolle in dem Kinderfilm „Ein Kolumbus auf der Havel“ fest. Weitere Probeaufnahmen folgten, um den richtigen Filmpartner für mich zu finden. Es war ein seltsamer Zufall, daß wir beide den gleichen Nachnamen – Schulze – hatten, so daß uns fürderhin alle für Geschwister hielten.

Der Film war eine Produktion für das DDR-Fernsehen und lief 1978 zu der besten Sendezeit, die ein Kinderfilm bekommen konnte – am ersten Weihnachtsfeiertag um drei Uhr nachmittags. Einige Jahre später dann wurde der Film in der Ferienbespielung der Kinos zweitverwertet. Dies führte zu einer merkwürdigen Begegnung mit mir selbst: Im Sommer 1984 verbrachte ich mit meinem Liebsten ein paar Tage in Dresden. An einem Tag fuhren wir mit dem Dampfer nach Königsstein, um die Festung zu besuchen. Auf dem Weg durch den kleinen Ort sah ich plötzlich mich selbst mit elf Jahren: Im Schaukasten des kleines Kinos hingen ein Filmplakat und einige Fotos des Films, in dem ich die Hauptrolle gespielt hatte.

In diesem Sommer nun gab es, ohne daß ich davon wußte, eine Vorstellung des Films in Falkensee, wo der Regisseur des Films, Hans Kratzert, seit vielen Jahren lebt. Ich erfuhr davon, weil ein Freund mir den Link zu einem Artikel darüber in der MAZ schickte: „Das elfjährige Mädchen Nana (wunderbar lebendig von Susanne Schulze gespielt) träumt so sehr von einem eigenen Segelboot.“

Als ich das las, dachte ich, es wäre vielleicht doch an der Zeit, mich „zu bekennen“; und so telefonierte ich mich bei der MAZ durch bis zum zuständigen Redakteur, meldete mich mit meinem Namen Fienhold Sheen und sagte dann: Ich bin der Kolumbus auf der Havel! Dies führte fast unausweichlich zu einem Interviewtermin Anfang September mit der charmanten Laura Sander und zu einem weiteren Artikel mit der schönen Überschrift „Den Regen machte die Ketziner Feuerwehr“.

Vielen Dank an die MAZ, besonders auch dafür, daß der Artikel an meinem Geburtstag erschienen ist. Und nein, Sie müssen nicht nachrechnen – ich bin natürlich 39 Jahre alt…