Potsdam und seine Bürger?

Gäste aus Hamburg: Sie war schon ein paar Mal hier, der Mann ist zum ersten Mal in Potsdam. Wir sind am Alten Markt, und das, was dort am Alten Markt geschieht, ist wirklich erklärungsbedürftig. Und ich kenne viele Stadtführer, die dort direkt in die Architekturgeschichte einsteigen: Stadtschloß, Altes Rathaus, Nikolaikirche; Könige, Architekten, Vorbilder; italienische Renaissance, Barock, Klassizismus. Alles richtig, alles fein, kann man so machen.

Aber warum? Was erklärt das? Bleiben wir bei dem Mann aus Hamburg (alteingesessen, das ist im wichtig!): Der guckt sich um und guckt mich an und versucht, mir seine Verwirrtheit zu erklären. Wir hätten uns doch im alten Zentrum verabredet? Ja, richtig, da sind wir ja auch, sag ich. Aber warum? Ja?

Er zögert, wahrscheinlich überlegt er, ob ich mich als Potsdamerin von seiner Frage, die er stellen wird, beleidigt fühlen könnte – Hamburger sind sehr höfliche Menschen. Na, raus damit! Warum man denn das alles – er beschreibt mit seinem Arm einen großen Kreis – jetzt erst mache, mehr als zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung?!

Und genau das ist der Punkt, das ist die enscheidende Frage, die direkt dazu führen muß, daß die Stadtführerin ihrem Gast jetzt die Bevölkerungsentwicklung von Potsdam im 20. Jahrhundert erläutern muß. Nur keine Bange, es ist normal, daß Gäste in diesem Moment erst einmal ein bißchen verschreckt gucken – nicht beirren lassen.

Denn es ist ganz wichtig, daß die Menschen, die Potsdam besuchen, verstehen, daß es hier eben keine gewachsene Bürgerschaft gibt. Kein seit Jahrhunderten gewachsenes und gefestigtes bürgerliches Bewußtsein, welches sich durch Training und Tradition daran gewöhnt hat zu sagen: Meine Stadt! In dieser Stadt habe ich die Freiheit und die Verantwortung, mitzureden und zu gestalten. Die Verwaltung gehört mir, der Bürgermeister gehört mir, die gewählten Politiker im Stadtparlament – alles meins. Und auf die Frage, ob man denn alles selber machen muß, lautet die Antwort bekanntlich immer – ja! Man muß und man kann.

Das, lieber Hamburger, gibt es hier nicht. Naja, gut, in Ansätzen vielleicht, aber es ist ganz neu. Hat es so noch nicht gegeben, kaum gegeben, keine Tradition. Weil… (es folgen Erläuterungen zur Bevölkerungsentwicklung). Und dann hat nicht nur der Hamburger etwas verstanden. Auch die Potsdamer würden verstehen, wenn sie sich das öfter einmal vor Augen halten würden. Bißchen Mühe muß man sich schon geben.